Anthem ist tot – Das kurze Leben und lange Sterben von EAs „nächstem großen Ding“ (2024)

EA und BioWare hatten den Online-Shooter Anthem als „Spiel für 10 Jahre“ beworben. Im Februar 2019 war der Release von Anthem. Pünktlich zum zweiten Geburtstag, im Februar 2021, ist das Spiel nun tot. Unser Autor Schuhmann sagt: Eigentlich ist es schon ein halbes Jahr nach Release gestorben.

So war Anthem angekündigt: In der Entwicklungsphase trug Anthem den Code-Namen „Dylan“ – wie der Folk-Sänger Bob Dylan sollte Anthem lange Zeit relevant bleiben, am liebsten „auf ewig“.

2017 hieß es über Anthem: Das sei ein „Spiel für 10 Jahre.“ Das sagte nicht irgendwer, sondern ein wichtiger Manager von EA, Patrick Söderlund. Als Executive Vice President leitete er damals die Spiel-Entwicklung aller Titel von Electronic Arts:

Anthem ist ein Social-Game, in dem du und deine Freunde auf Quests und Abenteuer-Reise gehen könnt. Es ist ein Spiel, an dem wir jetzt fast 4 Jahre gearbeitet haben und eins das nächste Jahr erscheinen wird. Ich denke, es wird der Start einer 10-jährigen Reise für uns sein.

Patrick Söderlund, damals Vice President bei EA

Mit dem Statement suchte EA klar den Vergleich zu Destiny: Auch die große Loot-Shooter-Reihe von Bungie war für 10 Jahre angekündigt. Und Anthem war schon seit 2012 in Entwicklung – das würde also ein richtig dickes Spiel werden.

Erste Trailer sahen stark aus.

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Auch wenn Anthem später von 2018 auf 2019 verschoben wurde: Die Stimmung war vorm Launch noch freudig. Immerhin war Anthem das erste große SF-Spiel von BioWare seit Jahren, die hatten sich mit Mass Effect einen großen Namen gemacht.

Anthem zeigt zum Launch Potential, wird aber als “unfertig” kritisiert

So war es zum Release: Als Anthem erschien war die Vorfreude auf das Game riesig. Eine Demo kurz vorm Start hatten die Freude auf Anthem angeheizt und die Server von EA lahmgelegt.

Das Spiel war klar als „der Blockbuster im Frühjahr 2019 gedacht“, erschien aber zu nur mäßigen Reviews. Große Gaming-Seiten bewerten das Spiel zwischen 60% und 70%. Das Game wurde als „unfertig“ kritisiert. Es habe gute Ideen, es mangele aber an der Umsetzung. Es gebe zu wenig Story, sei zu grindy, hieß es von der Fachpresse. Es sei höchstens ein halbes gute Spiel.

Bei Meta-Critic kam das Spiel nur auf 59%.

Doch BioWare steuerte gegen. Sie legten eine große Roadmap vor. Schon einen Monat nach Release, im März 2019, sollten wichtige neue Entwicklungen kommen, die Welt von Anthem sollte sich verändern. Vor allem der „Cataclysm“, ein episches Event, weckte die Hoffnung der Fans, dass Anthem noch ein richtig gutes Spiel wird.

Meta-Critic gibt Anthem 59% – MeinMMO-Leser werten es mit 72%

Gerade MMO-Spieler, also Leser unserer Seite, fanden Anthem deutlich besser als die klassischen Singleplayer-Fans: Man lobte vor allem den Gameplay-Loop aus Fliegen, Schießen und Looten. Für viele MMO-Spieler ist Grind nichts, was sie fürchten, sondern suchen.

Bei einer Umfrage von MeinMMO Machten damals 4.280 Nutzer mit. Sie bewerteten Anthem mit 72%.

Das war der große Bruch: Im April 2019 war die Anfangs-Euphorie bei Anthem langsam verschwunden. Die Leute warteten auf Patches und darauf, dass BioWare die Probleme des Games angeht: Der Loot machte keinen Spaß, das Endgame war praktisch nicht vorhanden, die Fortschritts-Systeme stimmten nicht und es gab einfach zu wenig zu tun.

Doch schon im April 2019, zwei Monate nach Release, erschien ein großer Insider-Bericht über die Entwicklung von Anthem. Dort wurde klar:

  • BioWare hatte sich über Jahre völlig verrannt, weil keine klare Vision für Anthem da war und eine starke Leitung fehlte
  • Während der Entwicklung kam es mehrere Richtungs-Änderungen und viele Entwickler hätten das Studio verlassen – einige mit Burnout
  • BioWare kam mit dem Befehl von EA, dass jeder die Frostbite-Engine nutzen musste, überhaupt nicht klar – die sei nicht für RPGs ausgelegt, klagte man.
  • Das Spiel war eigentlich nur in den letzten Monate zustande gekommen, als ein Producer zum Team stieß und alles auf „Wir machen es fertig“ trimmte.

Schon nach dem Insider-Bericht war eigentlich klar: Anthem war grade so zum Release fertig geworden. Mit viel mehr Content war nicht zu rechnen.

Die Hoffnungen schwanden.

Das Team um Anthem löst sich auf

Das kam abseits von Anthem noch dazu: Kurze Zeit nach dem Insider-Bericht, im Mai 2019, wurde dann auch offiziell klar:

  • Das Kern-Team, das Anthem entwickelt hatte, BioWare Edmonton, arbeitete nun schon an Dragon Age 4 und nur ein kleines Team in Austin, Texas, sollte die Weiterentwicklung von Anthem übernehmen. Die hatten vorher das “Star Wars”-MMORPG betreut.

Die Leute von BioWare versicherten den Fans im Mai 2019 aber: Das ändere nichts. Das Team stehe weiter voll hinter Anthem.

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Das Tragische: Die Leute, die den Reboot eigentlich leiten sollten, verließen noch 2019 BioWare.

  • Producer Ben Irving stellte das Spiel auf der E3 2019 vor, verschwand aber schon im August.
  • Der Leiter des Live-Service-Teams Chad Roberston verließ BioWare nach 14 Jahren im Oktober 2019.

Anthem geht schon ein halbes Jahr nach Release die Luft aus

So lief es tatsächlich im Spiel ab: Der Cataclysm, auf den sich viele Spieler freuten, kam einfach nicht. Erst Monate nach dem Release, im August 2019, ging mit 15 GB ein großes Update live.

Doch das war zum Release noch ewig weit entfernt. Überhaupt passierte in der Anfangs-Phase von Anthem praktisch nichts.

Stattdessen stellten die Spieler enttäuscht fest, dass es im Endgame von Anthem viele Probleme gab:

  • Es waren zu wenig Dungeons im Spiel
  • das Item-System funktionierte überhaupt nicht
  • es machte keinen Spaß, den Charakter weiterzuentwickeln und Loot zu sammeln

Anthem ging schon kurz nach Release die Luft aus.

Das Ende des aktiven Spiels war im September 2019 erreicht: Damals zog BioWare seine Roadmap zurück und wollte nicht mehr über die Zukunft des Spiels sprechen. Ab da, schon ein halbes Jahr nach Release, war Anthem schon so gut wie tot.

Anthem: Wie konnte es so schlimm werden und wird’s noch mal besser?

Rework macht den Fans große Hoffnung

Das war die Hoffnung: Im November 2019 gab es endlich ein Hoffnungs-Zeichen. Derselbe Insider, der den vernichtenden Bericht über die Entwicklung von Anthem verfasst hatte, sagte nun: BioWare arbeite an einem Rework des Spiels.

Im Februar 2020 wurde das dann auch offiziell: Ein kleines Team von 30 Mitarbeitern arbeitete in Austin, Texas, an Anthem Next, einem Anthem 2.0.

Ein Jahr lang veröffentlichte das Team kleine Blogposts und Bilder, wie man da im Homeoffice an dem neuen Projekt arbeitete. Angeblich mit viel Eifer, einem tollen Team und viel Unterstützung der Community.

Das Live-Anthem auf den Servern war da gerade ein Jahr alt geworden und wurde nicht mehr groß weiterentwickelt.

So starb diese Hoffnung: Ein Jahr nach der Vorstellung von Anthem 2.0 gab das Team bekannt, dass das Projekt nun doch eingestellt wird. Anthem wird nicht mehr weiterentwickelt.

Es heißt vom Team, man wolle sich bei BioWare der Entwicklung von Mass Effect und Dragon Age widmen. Man bedauert, wie das alles gelaufen sei.

Das sagte der Insider diesmal: Anthem 2.0 war bis dahin ein Jahr lang in der „Inkubations-Phase“ gewesen. EA hatte im Februar 2021 entscheiden müssen:

  • ob man an Anthem Next glaubt uns das Team verdreifacht und auf 100 Entwickler aufstockt
  • oder ob man den Stecker zieht und Anthem ganz einstellt.

EA hat sich offenkundig für das Ende von Anthem entschieden.

6 Gründe, die dafür sorgten, dass Anthem sterben musste

Was lief da bei Anthem alles schief? Da kommt einiges zusammen:

BioWare hat offenbar völlig die Entwicklung eines solchen Spiels unterschätzt – das Studio schien gar nicht in der Verfassung zu sein, so ein Spiel zu entwickeln. Da muss vieles in der Entwicklung schon schief gelaufen sein. Vor allem hat BioWare über Jahre offenbar eine gemeinsame Vision für das Spiel gefehlt.

Der Plan für die Weiterentwicklung des Spiels war von Beginn an eine Katastrophe: Wenn das Hauptteam weiterzieht und ein „kleines Live“-Team übernehmen soll, kann man kein Spiel für „10 Jahre“ versprechen.

Ein großes Problem war offenbar der Zeitdruck: Anthem sollte unbedingt im Februar 2019 erscheinen, um das Finanzjahr von EA noch zu retten – das Spiel war aber in keinem Release-Zustand. Eigentlich müssen Spiele wie Anthem schon „100% fertig“ erscheinen und das Studio muss schon DLCs vorbereitet haben. Anthem war aber nur gerade so zum Release fertig geworden.

Dann hat EA offenbar auch die Lust an Anthem verloren, weil der Shooter Apex Legends plötzlich die Funktion hatte, die eigentlich Anthem erfüllen sollte: Apex Legends funktionierte als Free2Play-Titel viel besser als das Premium-Spiel Anthem und erfüllte die Funktion eines „Games-as-a-service“-Titels.

Aua, EAs Studio-Chefin sagt, Anthem hätte den Ansatz von Apex Legends gebraucht

Es war von Tag 1 an völlig unklar, wie EA noch Geld mit Anthem verdienen wollte. Es gab lediglich einen dürren Cash-Shops, für DLCs wollte man kein Geld nehmen.

Und die Idee, ein Anthem 2.0 zu machen, das aber ein Jahr lang keiner sieht und am Live-Spiel vorbei entwickelt wird, hat sich als problematisch herausgestellt.

Das macht das Ende von Anthem so bitter: Was viele schmerzt, ist es, dass Anthem tatsächlich das „Herzstück“ eines guten Spiels hatte. Das Gameplay war stark, die Welt interessant, die Produktions-Qualität war hochwertig.

Die Lehre aus Anthem ist aber, dass ein MMO unbedingt einen soliden Plan für die Entwicklung nach einem Release braucht.

Andere MMOs sind mit denselben Problemen wie Anthem gestartet. Auch The Elder Scrolls Online hatte 2014 ein furchtbares Endgame und war in einer tiefen Krise. Bei ESO arbeitete man aber von Tag 1 an daran, diese Probleme anzugehen. Bei Anthem war das Haupt-Team von Tag 1 an offenbar im Urlaub und bereitete sich auf Dragon Age 4 vor, während ein „Live Service Team“ die Scherben von Anthem zusammenkleben sollte.

So kann man kein „Spiel für 10 Jahre“ machen, das hätte EA nie so bewerben dürfen. Eine Lektion, die sie nun bitter gelernt haben.

Auch wenn die Entwicklung von Anthem offiziell erst nach 2 Jahren eingestellt wurde, hat BioWare die Live-Version des Games schon nach 6 Monaten aufgegeben. Die Server von Anthem werden zwar noch offen bleiben, das Spiel ist aber jetzt in einer Art Wartungs-Modus. Schade, um das Potential, das hier verloren ging.

Wie Spieler von Anthem auf das Ende des Games reagieren, lest ihr hier:

So reagieren Spieler aufs Ende von Anthem: „Die unnötigsten 70 € meines Lebens“

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Author: Sen. Emmett Berge

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